Märchenhafter Dezember ...

... immer wieder sonntags einen Post schreiben, in aller Ruhe  - aber diesen Sonntag gnadenlos verschlafen! 



 







Dafür heute ein Märchen ...

Jeder schreibt über den Alltag, über Mode, über Politik und Literatur  -  neue und alte Bücher, man / frau schreiben in den Blogs von Rezepten (... die ich gerne ausprobiere!), von Haustieren, vom Garten. 

Heute ist hier ein altes Märchen dran, das ich für die Nachbarskinder herausgekramt und selber schön finde. Für die drei Kids von nebenan in Planung eine kleine Nikolausüberraschung ...

Hier also mein Nußknacker - Märchen

Ein imposanter Hochzeitszug bewegte sich nach der Kirche, die in der Zimmerecke auf dem Boden stand; es war das ein Bau aus einem Guß – von Gips, und es läßt sich nicht leugnen, dass er im Sonnenlichte von außen etwas verstaubt und innen berußt aussah, es war aber auch gar nicht seine Bestimmung, im Tagesglanze etwas vorzustellen, sondern im Dunkeln selbst zu leuchten.
Zu dem Ende standen zwei Lichtstumpfen im Innern, und wenn die angebrannt wurden, so schlug die Helle durch die vielen farbigen Fenster, was sich sehr hübsch ausnahm. Der Dom dürfte sonach die Stätte eines der Feueranbetung verwandten Kult gewesen sein.

Den erwähnten Zug eröffnete ein Wagen – sie hatten nur den einen – darin saß das Brautpaar, eigentlich saß nur die Braut, eine Puppe von junonischer Gestalt, während der Bräutigam, ein hölzerner Nußknacker, quer über dem Wagen lag, mit dem angeleimten Fußbrettchen über den Kutschsitz und mit dem Kopfe über die Lehne hinausragte. Die Braut sah mit den großen dunklen Augen erwartungsvoll vor sich hin; ihre Linke hing schlaff herab, ihre Rechte hatte sie erhoben und in der Magengegend auf ihres Bräutigams Leib gelegt, und wenn sie fuhren und der Arm schütterte, so schien sie ihren Zukünftigen sanft zu frottieren, was sich sehr zärtlich ausnahm.
Hinter dem Wagen ordnete sich das Gefolge und die Schar der geladenen Gäste. Es sprach jedenfalls für die Bedeutung der gesellschaftlichen Stellung des Nußknackers, dass zur Feier seiner Vermählung mindestens drei Schachteln Soldaten ausgerückt waren, Reiterei und Fußvolk, sei es nun als Ehrengarde, oder um die Ordnung aufrecht zu erhalten.

Unter den geladenen Gästen fielen besonders etliche Puppen auf, die mehr oder minder durch die Zeit gelitten hatten und sich trotzdem sehr auffällig benahmen; eine einzige zog sich bescheiden zurück, eine unglückliche Person, welcher der rechte Fuß und der linke Arm fehlte, und die sich dieses Mangels bewußt schien; ferner waren da ein großer Gummiball, dem ein buntlackierter Blechkreisel nicht von der Seite ging, dann zwei Gelehrte, nämlich ein Kuckuck, der zwar einen Leib von getrocknetem Lehm, Drahtfüße und darunter einen Blasebalg hatte, aber auf dem Lehmleibe klebten natürliche Vogelfedern, und der Ruf aus dem Blasebalg war so täuschend, als er nur sein konnte, und ein hölzerner Gockelhahn, welcher behauptete, dass er in gerader Linie von dem Herausgeber der alten Kinderfibeln abstamme, dessen Bildnis auf dem Titelbilde derselben ersichtlich gewesen; auch ein Wurstel fehlte nicht, der sich Edler von Strumpf nannte, weil er vom Scheitel bis zur Sohle gestrickt war, ein fahrbares Kaninchen, das die Trommel, und ein Bajazzo, der die Tschinellen schlug.
Es würde sehr zeitraubend sein, all die mehr oder minder unbedeutenden Personen namentlich aufzuführen, die sonst noch dem Brautpaar das Geleite gaben, genug, es war ein imposanter Zug, der sich nach der Kirche bewegte, die in der Zimmerecke auf dem Boden stand.

»Das ist zu rund,« sagte der Gummiball, »nur einen einzigen Wagen beizustellen –«
»Ach,« seufzte der Kreisel, der ihm zur Seite ging, »wär' ich nur aufgezogen, da sollten Sie mich sehen dazwischenfahren!«

»Das ist zu rund, sage ich,« wiederholte der Gummiball, ärgerlich über die Unterbrechung. »Nur einen Wagen beizustellen und den selbst zu benützen, und alle andern sollen sich abmühen, hinterher kollern, rollen und schleifen!«
»Und wie langsam das vorwärts geht!« seufzte der Kreisel. »Wär' ich nur aufgezogen!«
Es hatte keinen Verstand, was die beiden da schwatzten. Ein kleiner Knabe hatte sich in der Ecke neben der Kirche niedergekauert und zog an einer langen Schnur den Wagen, in dem das Brautpaar saß, an sich, ließ ihn aber immer nach ein Paar Spannen breit Halt machen, damit das Schwesterchen, das neben dem Zug auf den Knien herrutschte, alles in schönster Ordnung nachschieben könne; es war daher sehr einsichtslos, sich über Langsamkeit zu beklagen und von einer Mühe, um sich hintennach zu kollern, rollen und schleifen, konnte gar keine Rede sein, denn das besorgte für jeden eine fremde Hand und den Undankbaren lag eigentlich nur ob, sich den mühelosen Weg über zu unterhalten.
»Ach, die Glücklichen,« flüsterte die Puppe, die nur. einen Arm und ein Bein hatte.
»Wer? Wo? Wieso?« riefen die anderen, von der Zeit mehr oder weniger Mitgenommenen, welche die rücksichtsvolle Schonung, die ihnen seit ihrem Verfall zuteil wurde, als Vernachlässigung empfanden.
»Sie halten doch nicht dafür, daß sie mit ihm, oder er mit ihr –?« fragte eine derselben; sie trug einen Holzkopf mit spitzer Nase, die hatte sie sich lange schon abgestoßen, aber ihr Gemüt war spitz geblieben. »Er mit ihr!« Sie lachte.
Die andern kicherten.
»Ei, meine Liebe,« fuhr die Holzköpfige fort, »da gäbe es Geschichten zu erzählen aus der Zeit, wo sie noch keinen Gedanken auf den ehrlichen Nußknacker hatte. Sie werden sich ja erinnern, meine Damen, als wir das letztemal die prächtige Naturerscheinung des leuchtenden Baumes hatten, die uns den Ablauf jedes Jahres anzeigt und zugleich immer von einem starken Fremdenandrange begleitet ist, da ist auch diese Person mit einmal mitten in unsere Gesellschaft hineingeschneit. Unter den Zugereisten befand sich auch ein schmucker Militär –«
»Terrom, terrom, tom, tom!« machte das trommelnde Kaninchen, denn es wurde eben vorgeschoben.

»Haben Sie gehört, meine Damen?« fragte laut lachend die Holzköpfige. »Ein vortrefflicher Witz! So viel Sarkasmus hätte ich dem Ausgebälgten gar nicht zugetraut; vor dem muß man sich künftig in acht nehmen.«
Das Kaninchen wußte gar nicht, um was es sich handelte, aber für witzig zu gelten, das schmeichelte ihm; es kompromittierte sich daher durch keine Frage und sah so gläsern vor sich hin, wie zuvor.
»Dass ich also sage,« fuhr die mit dem Holzkopf fort, »mit diesem schmucken Militärsmann befreundete sie sich sehr bald, ersah die Gelegenheit, sich mit ihm davonzustehlen und wurde am andern Morgen mit demselben in einer Sofaecke aufgefunden.«
»Das glaube ich nicht,« sagte die invalide Puppe.
»Sie können es auch bleiben lassen,« sagte grob der Holzkopf.
»Sie brauchen auch nicht zu glauben, was ich zu erzählen weiß, und was Ihnen die Damen hier alle werden bestätigen können,« sagte eine mit einem Porzellankopfe, der schon lange die aufgeklebte Perücke verloren hatte und glatt und glänzend wie der Wassersack einer Tabakspfeife aussah. »Sie brauchen es nicht zu glauben, nichtsdestoweniger bleibt es aber doch wahr: Eines Tages hatten wir uns alle zu einer Festlichkeit zu versammeln, ich weiß nicht mehr zu welcher, – da hätte unsereins auch viel zu tun, sich jede zu merken, wo man zu so vielen beigezogen wird und oft selbst nicht weiß, wozu eigentlich, – kurz, wir kamen alle zusammen, außer dieser Person, die sich ausschloß, um mit einem kleinen Rauchfangkehrer allein im Schrank zurückbleiben zu können.«
»Ach, gehen Sie doch,« sagte die Invalide.
»Ach, gehen Sie mir doch, Sie zimpferliches Ding,« sagte eine andere, die hatte eine Larve von Wachs voll Risse und Schründe. »Glauben Sie, daß wir jemandem unrecht tun? Wie lange ist's denn her, daß sich dieses hochmütige Geschöpf gänzlich von uns separiert und absentiert und in einem Schloß, einem veritablen Schloß, sage ich Ihnen, mit Garten und Springbrunnen, logiert hat? Der stolze Bau ist später verschwunden, soll aber noch existieren! Der Grauschimmel auf Rädern, der oft weite Reisen macht, will ihn auf einer seiner Wanderungen gesehen haben.«
»Erlauben Sie,« sagte schüchtern die verstümmelte Puppe, »aber ich finde nichts Arges darin, in einem hübschen Schlosse zu wohnen.«
»O Sie –!« schrie lachend der Wachskopf. »Woher hatte sie's denn?«
»Meinen Sie, für nichts und wieder nichts?« höhnte der Porzellankahlkopf.
»Sie wissen eben nicht, wer ihren Landaufenthalt teilte,« bemerkte überlegen die Holzköpfige.
»Ein Herr?« flüsterte sehr verschämt die arme Puppe.
»Der blieb freilich weg,« sagte die mit der Wachslarve, »aber eine Amme fand sich ein, eine veritable Amme, sag' ich Ihnen, mit einem Wickelkinde auf dem Arme.«
»Oh, meine Damen,« ereiferte sich unwillig die Stummelpuppe, »es konnte ja das Kind einer Verwandten gewesen sein, und die Dame scheint mir sehr gebildet, so hat man ihr wohl das Kind zur Erziehung –«
»Freilich, freilich,« lachten die drei, »eine Gouvernante für ein Wickelkind! Hahaha! Das ist kostbar!«
»Ich verstehe nicht, warum Sie sich gar so warm dieser Dame annehmen,« sagte die Holzköpfige, nachdem sie wieder zu Atem gekommen. »Sie dürfen sich versichert halten, meine Beste, daß sie es Ihnen nicht Dank wissen und Sie bei jeder Gelegenheit zurücksetzen wird, denn der Verkehr mit Ihnen verheißt ihr keinen Vorteil, und daß sie sich auf den versteht, das können Sie uns glauben. Als die Herrlichkeit mit dem Schlosse Knall und Fall ein Ende nahm und sie sich zur Rückkehr in unsere verschmähte Gesellschaft entschließen mußte, da war sie wohl der Abenteuer müde und recht froh, einen Mann zu finden wie Nußknacker, der Stellung und Auskommen hat; nun, ich gönne ihr den hölzernen Patron, das muß ich sagen, und auch ihm gönne ich sie, wahrhaftig, das tue ich von ganzem Herzen. Mich dauern nur die andern Damen, denn dazu brauchte er nicht so große Augen, wie er im Kopfe hat, um eine bessere Wahl zu treffen!«
»Oh, bitte, bitte,« riefen die andern.

Der Zug war vor der Kirche angelangt und die Zeremonie der Trauung, ebenso kurz wie bedeutungsvoll, ging vor sich. Der Nußknacker und seine Braut mußten den Wagen verlassen, vor dem Portale Aufstellung nehmen und vor dem versammelten Volke sich küssen; hierauf setzten sie sich wieder in den Wagen und die Heimkehr sollte in gleicher Ordnung vor sich gehen, da trat plötzlich eine allen unerklärliche Verwirrung ein, der Wagen blieb wie festgebannt auf dem Flecke, die Gäste fühlten sich an- und übereinandergedrängt, wobei manche das Gleichgewicht verloren und zu Boden fielen, dann blieb alles liegen und stehen, wie es lag und stand.
Man war darüber einigermaßen verschüchtert und hielt es für ein böses Omen, nur der gelehrte Kuckuck mit den natürlichen Vogelfedern tat sehr zuversichtlich.
»Herr Kollega,« sagte er zu dem hölzernen Gockelhahn, »haben Sie nicht auch in dem Luftstrome, der vorhin mit einmal über uns wegstrich, einen starken Boulliongeruch wahrgenommen?« »Ja,« sagte der Gockel.
»Nun, sehen Sie,« fuhr der erstere fort, »nur die Fäkalgerüche sind die bösen, die sind von übler Vorbedeutung. Guck, guck, so findet sich's, wie ich sage!«
»Ich wollte,« sagte der hölzerne Gockel, »ich hätte auch so 'nen Blasebalg und könnte Wind machen wie Sie, da sollten Sie anderes zu hören bekommen.«
Einige Zeit danach waren alle bei Nußknackers geladen, mit Ausnahme der Soldaten – denn eine Stube ist doch kein Exerzierplatz – des Kaninchens, das die Trommel, und des Bajazzos, der die Tschinellen schlug – denn man wollte keinen Lärm im Hause – und der Puppe, die nur einen Arm und ein Bein hatte; beim Hochzeitszuge verlor sie sich unter den vielen, sonst war sie aber doch ein gar zu angenehmer Anblick. Der gestrickte Wurstel, der sich Edler von Strumpf nannte, erhielt die erste Einladung, solche Personen geben den Häusern, welche sie besuchen, ein Ansehen, und man darf es daher ihnen gegenüber in nichts versehen, was sie etwa beleidigen könnte; er sagte zu und erschien, der Erste am Platze. Dann waren die Puppen, welche die Zeit mehr oder minder mitgenommen hatte, eingeladen, Holzkopf, Porzellankopf und Wachslarve, Damen, die sich in Gesellschaft zu bewegen und wenigstens ins Gesicht jedermann etwas Artiges zu sagen wußten; ferner der Sonderling Gummiball, dem alles zu rund war, und sein anhänglicher Gefährte, der Blechkreisel, der übrigens gebeten war, unaufgezogen zu erscheinen. Alle hatten sich pünktlich eingefunden, man wartete nur noch auf die beiden Gelehrten den Kuckuck mit den natürlichen Vogelfedern und den hölzernen Gockelhahn.
Die beiden hatten sich auf dem Wege getroffen. »Wissen Sie schon?« fragte der Hahn, denn Gelehrte verabscheuen unnütze Auseinandersetzungen: wußte der Kuckuck etwa schon, was ihm der Hahn mitzuteilen gedachte, so konnte der letztere alle Worte sparen, darum fragte er: »Wissen Sie schon?«
»Den Anlaß zur Einladung bei Nußknackers?« sagte der Kuckuck. »Freilich weiß ich ihn, verehrter Herr Kollega. Der Klapperstorch hat sich bei dem jungen Paare eingestellt und ein allerliebstes Wickelkind gebracht. Ohne es gesehen zu haben, getraue ich mir auf Grund der Bekanntschaft mit den beiden Eltern auf sein Aussehen und Wesen einen Schluß zu ziehen, für dessen Richtigkeit ich – ich weiß nicht was – verwetten möchte! Das Kind hat ganz sicher – achten Sie darauf, Herr Kollega – den Porzellankopf der Mutter und das Füllsel vom Vater, der von Holz ist, also Sägespäne.«
»Ach, verehrter Herr Kollega,« sagte fast mitleidig der Hahn, »das ist ja doch schon längst veraltete Rockenweisheit, die Sie aus in der Vorzeit gang und gäben Sprichwörtern zusammengebraut haben, in denen sich der sogenannte klare Verstand aussprach, der sich immer nur an das Allgemeine der Vorfallenheiten hält; damit imponiert man dem großen Haufen, der es ganz gut dahin bringt, zu vergessen, was er zu wissen glaubte, und sich hinterher das Vergessene als überraschende neue Wahrheit, wie Sauerkraut, aufwärmen läßt. Ein System läßt sich aber auf derlei nicht bauen, denn einem solchen zufolge, verehrter Herr Kollega, könnte ja auch die kleine Puppe vom Vater einen Holzkopf und von der Mutter einen Porzellanleib haben! Nicht?«

»Nein, wahrhaftig nein,« ereiferte sich der Kuckuck. »Wissen Sie denn nicht, Herr,« – aus Ärger nannte er den Hahn weder Kollega, noch verehrte er ihn weiter – »wissen Sie denn nicht, daß nach den neuesten Aussprüchen gewiegtester Autoritäten von der Mutter der Kopf auf die Kinder vererbt und von dem Vater das Innerliche? Porzellankopf und Sägespäne, sage ich Ihnen, anderes werden Sie nicht zu Gesicht bekommen. Guck, guck, so wird sich's weisen!«
So streitend traten die beiden in den Empfangssalon bei Nußknackers, die Gäste hatten es sich längs den Wänden auf Sesseln, auch auf Schränken bequem gemacht, nur der Herr vom Hause stand aufrecht, er konnte, seiner steifen Knie wegen, überhaupt nicht sitzen, er hielt den breiten Mund zugeklappt, was seinem Gesichte einen ebenso würdevollen als feierlichen Ausdruck verlieh, seine Frau saß auf dem Ruhebette und auf dem Tische davor lag ein Wickelkind.
Nach der Begrüßung traten die beiden Gelehrten hinzu, das Kleine in Augenschein zu nehmen.
»Tragant!« rief der Hahn triumphierend aus.
»Oh, Atavismus!« schrie der Kuckuck. »Nichts als Atavismus! Ich wette, um was Sie wollen, eines der Großeltern des Kindes war von Tragant!«
»Ei, Herr Kollega,« höhnte der Hahn, »die Methode ist gut; wer die Mauern einschlägt, erspart ein Hinterpförtchen.«
»Die Großeltern! Haben Sie gehört? Die Großeltern!« zischelte die Holzköpfige ihren beiden Freundinnen zu. »Allen Respekt vor der Wissenschaft, wär' ich vermählt, so müßte mir auch ein Gelehrter ins Haus, er kann zuweilen der Frau sehr nützlich sein.«
Der Streit der Gelehrten hatte die Gesellschaft sichtlich verstimmt, denn Zustimmung oder Widerspruch erschien in einer so heiklen Angelegenheit gleich unartig, man brach allseitig auf und trennte sich; der Edle von Strumpf gab unter Gähnen der liebenswürdigen Hausfrau den wohlmeinenden Rat, keine Gelehrten mehr zu laden, es sei das ein rücksichtsloses Volk, das sich nur ungelegen mache.
Etliche Wochen, bevor die prächtige Naturerscheinung des leuchtenden Baumes den Ablauf des Jahres anzeigte, trat jedesmal ein anderes Ereignis ein, das viel zu denken gab; stets am bestimmten Tage kam nämlich ein sehr würdig aussehender Bischof zugereist in Begleitung eines ganz abscheulichen Gesellen, der in rauhes Fell gehüllt war, Hörner trug und gegen jedermann die lange, rote Zunge bleckte; diese beiden Ankömmlinge hielten sich von aller Welt ferne und schlossen sich zwischen den Fenstern ein. Einige meinten, daß der Bischof zur Überwachung und Ordnung kirchlicher Angelegenheiten reise, andere hielten dafür, daß es sich entweder um die Versuchung des Bischofs durch den ersichtlich argen Gesellen, oder um die Belehrung des letzteren durch den ersteren handle, gewiß war nur, daß es gleichzeitig noch andere Nüsse zu knacken gab, wozu der Nußknacker bestellt war, der dann immer von Amts wegen eine kleine Reise unternehmen mußte.
Während seiner diesmaligen Abwesenheit stellte sich ein Fremder ein, ein stattlicher Herr, der in weiße Seide und blauen Samt gekleidet war, über und über mit Silberbörteln und ebensolchen Flinserln bedeckt, er hatte ein reichgesticktes Barett auf, von dem bunte Federn nickten, und hing an einem Gummifaden, was ihn befähigte, die unglaublichsten Sprünge zu machen. Man hieß ihn bald allgemein den Luftspringer. Diesem Luftspringer nun fielen die junonische Gestalt und die großen, dunklen, erwartungsvollen Augen der Madame Nußknacker auf, er stellte sich derselben vor, indem er sagte, er würde es sich als unverzeihliche Sünde anrechnen, der schönsten Frau der Welt nicht seine Aufwartung gemacht zu haben.
Indem er die Gesellschaft mit beleidigender Geringschätzung behandelte, brachte er es bald dahin, daß jeder, der ihn dort wußte, dem Nußknackerschen Hause ferne blieb. Der jungen Frau schmeichelte der ausschließliche Vorzug, der ihr zuteil ward, und da sie an dem Umgange Luftspringers Gefallen fand, berührte es sie gar nicht unangenehm, daß die Ungeladenen wegblieben; daß auch keine Geladenen kämen, war ganz in ihre Hand gegeben, und so kamen auch keine, kurz, je mehr sich die beiden einander näherten, je mehr zogen sich alle andern von ihnen zurück.
Der Nußknacker hatte seiner anstrengenden und aufreibenden Pflicht genügt und kehrte heim. Er machte einen Augenblick auf einer Kommode Halt und sah hernieder, der Raum unter ihm lag in einer befremdenden Ruhe und Leere, kein bekanntes, befreundetes Wesen ließ sich hören oder sehen; dort am Boden, in der Fensternische gegenüber mußte die Wohnstube liegen. Der Nußknacker richtete die großen Augen nach seiner Wohnstätte.
Oh, es war empörend, was er da sah! Er klapperte ein paarmal mit der Kinnlade, dann blieb er erstarrt mit offenem Maule stehen.
Als er wieder zu sich kam, fand er sich in dunkler Lade von allen Bekannten und Befreundeten umgeben.
»Das ist zu rund,« sagte der Gummiball.
»Wär' ich nur aufgezogen gewesen,« sagte der Blechkreisel, »ich wäre gewiß dazwischen gefahren, armer Freund!«
»Ach, wer das gedacht hätte!« seufzte die Puppe, die nur einen Arm und ein Bein hatte.
»Ich hab's ja gedacht!« sagte die Holzköpfige.
»Ich auch!« sagte der Porzellankahlkopf.
»Und erst ich!« schrie aufgeregt die Wachslarve.
»Guck, guck,« sagte der eine Gelehrte.
»Sie sollten sich was schämen, den armen Mann noch zu höhnen!« schrien die Puppen.

»Dummes Zeug,« flüsterte der gestrickte Wurstel, der sich Edler von Strumpf nannte. »Ärgert mich nur, daß sie gegen mich die Unnahbare gespielt.«
Luftspringer und Madame Nußknacker jedoch nahmen weder von der Rückkehr des beleidigten Gatten, noch von der Entrüstung der verehrlichen Gesellschaft irgendwelche Notiz; ja, sie trieben die Frechheit so weit, einmal in demselben Wagen, der den Hochzeitszug eröffnete, eine Spazierfahrt zu unternehmen und dabei recht absichtlich mitten durch die Mengen jagen zu lassen.
So kam der Abend heran, an dem sich die prächtige Naturerscheinung des leuchtenden Baumes zeigt. Alles ist in der dunklen Lade erwartungsvoll versammelt. Niemand wagte dieselbe zu verlassen, mit Ausnahme Nußknackers, der von Amts wegen abberufen wird. Eben bei seiner Entfernung öffnet sich weit die Lade, und man genießt das entzückende Schauspiel, das der riesige Baum, an allen Zweigen mit flammenden Lichtern und flirrendem Goldflitter, bietet, man sieht um ihn die Schar der zugeströmten Fremden versammelt, – dann schließt sich wieder die Lade und man sieht mit fiebernder Ungeduld dem kommenden Morgen entgegen, der mit den zugewachsenen neuen Erscheinungen in Verkehr zu treten gestattet.
Diesmal öffnete sich aber nach Nußknackers Abgange die Lade ein zweites Mal und Madame Nußknacker stürzte in derangierter Toilette und mit aufgelösten Zöpfen herein. Aus ihren wirren Ausrufungen ließ sich entnehmen, dass sie zum Hause hinausgeworfen worden war, nachdem sich zwischen Luftspringer und einer Neuangekommenen Fremden sofort ein Verhältnis entsponnen hatte. Die Unglückliche beschwor ihre alten Bekannten, ihr bei der Versöhnung des gekränkten Gatten behilflich zu sein. Fürs erste sagte niemand ja noch nein und alle zogen sich von ihr zurück, so daß sie in ihrer Ecke allein zu liegen kam.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, waren die ersten Worte, die an ihr Ohr schlugen: »Ja, das ist schrecklich!«
Madame Nußknacker, die sich ganz verlassen in der Ecke liegen fand, wo sie am Abend zuvor liegen geblieben war, sah auf; der Grauschimmel auf Rädern, der oft weite Reisen machte, hatte die Worte gesprochen, und von einer bösen Ahnung getrieben, fragte sie: »Was ist schrecklich?«
»Oh, Madame,« sagte die Puppe mit dem Holzkopfe, »von etwas Schrecklichem ist allerdings die Rede, aber da es Ihren Gatten betrifft, so weiß ich nicht, ob es Ihnen so schrecklich vorkommen wird, wie uns.«

»Oh, was ist es?« rief, zu Tode erbangend, Madame Nußknacker.


»Belieben Sie sich nur in Geduld zu fassen,« fuhr die Holzköpfige fort, »denn da Sie sich in letzter Zeit nicht das geringste um Ihren Herrn Gemahl bekümmerten, so ist Ihnen natürlicherweise auch gänzlich unbekannt geblieben, in welche Gemüts- und Leibesverfassung der Bedauernswerte durch die gänzliche Vernachlässigung Ihrerseits geraten war, und man wird sonach Ihnen erklären müssen, was wir alle ohne jeden Kommentar nur zu gut begreiflich finden.
Die allerdings etwas frappierende Überraschung, die Sie sich Ihrem Herrn Gemahl bei seiner Heimkehr zu bereiten gestatteten, wirkte so auf den guten Mann, daß er von der Stunde an das Maul verwundernd aufgesperrt hielt, und als er gestern, wie üblich, seinen amtlichen Verrichtungen nachkommen sollte, da brachte er den Mund nicht zu und keine Nuß auf, man schalt ihn ein unnützes Möbel, und diese Kränkung seiner Ehre und wohl der Gedanke an jene, welche derselben vorangegangen war und seine körperliche Herabgekommenheit verursachte, veranlaßte den Unglücklichen, sich durch eine offenstehende Ofentüre in die Flammen zu stürzen, in denen er zu Asche verbrannte.«
Madame Nußknacker schlug mit dem Porzellankopfe zu Boden.
»Oh, Madame,« sagte der Gummiball, »finden Sie selbst, daß das zu rund ist? Sagen Sie aber nur, wie erklären Sie das ganz Unverantwortliche Ihres Betragens?«
»Kann ich es mir denn selber erklären?« schrie Madame Nußknacker. »Wer, der jemals sich die Mühe genommen, über unser armseliges Puppendasein nachzudenken, muß nicht eingestehen, dass er sich oft plötzlich, wie von fremder Hand, zu Personen hingesetzt und ihnen nahe gebracht fühlte, an die er, mochten sie ihm bekannt oder unbekannt sein, den Augenblick zuvor gar nicht gedacht hatte, ebenso wie er wieder mit einem Male wie von fremder Hand sich von ihnen weggerissen und mit anderen vereinigt fühlt, ohne einen Gedanken an Trennung von dem Bekannten und Vereinigung mit dem Fremden gehabt zu haben?!
Wer ist denn unter uns allen, der behaupten könnte, er habe diese fremde, ich möchte sagen, spielerische Hand mit ihren Eingriffen in unser Leben nie empfunden?!«
»Guck, guck,« sagte der eine Gelehrte, »daran ist etwas Wahres.«
»Das ist zu rund,« schrie der Gummiball.
»Da haben Sie vollkommen recht,« sagte der hölzerne Gockelhahn. »Bei Wesen, deren Leben sich aus tausend Zufälligkeiten, oder nach einem Plane, der bis ins kleinste vorausbestimmt ist, aufbaut, kann derlei vorkommen und können solche Erklärungen klecken, aber bei uns, wo jeder selbständigen Willen und freie Bewegung hat, in unserer Spielzeugwelt nicht!« 

Das Märchen heißt übrigens:

Aus der Spielzeugwelt und ist von Ludwig Anzengruber

Es passt zum Kerzenlicht und Plätzchenduft ...

Habt alle eine schöne Zeit, wünscht 
Heidrun
  

 

Kommentare

  1. Anonym5/28/2015

    Hello i am kavin, its my first occasion to commenting anywhere, when i read this article i thought i could also make
    comment due to this sensible article.

    My web-site: Schlüsselnotdienst Frankfurt

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